Für Menschen, die früh Überforderungen ausgesetzt waren, ist das Thema Grenzen und Verantwortung ein schwieriges, denn sie mußten Verantwortung übernehmen, wo sie keine gehabt hätten und ihre Grenzen wurden überschritten, wo sie noch nicht in der Lage waren, diese zu behaupten. Das stellt ein Training dar, was – solange nicht in Gänze bewußt, und damit auch veränderbar, das Miteinander sehr erschwert.
Oft hilft ein Bild, eine Metapher, um eine gesunde Sichtweise zu installieren, die Respekt vor den Grenzen und Sicherheit, die durch klare Grenzen ermöglicht wird, verdeutlichen. Ich nehme gern folgendes:
Das Leben ist wie ein gigantischer Fluß, mit schnellem Lauf, mit träge dahinfließendem Wasser, mit Tiefen und Untiefen, mit Felsblöcken, angeschwemmt durch Hochwasser, mit Wasserfällen und Treibgut.
Wir Menschen sind wie Bewohner einer individuellen kleinen eigenen schwimmenden Inseln – jeder hat auf seiner Insel, was er so braucht: Wasser, Garten, Luft und Sonne. Jeder kann sich seine Art von Haus gestalten, seine Art von Garten kreieren, seine Art Gestaltung der Insel verwirklichen.
Beziehungen lassen sich dann darstellen als Nähe oder Entfernung zwischen den Inseln; sie können sich mehr oder weniger dicht nebeneinander bewegen; je nach Beziehung näher – bis hin zu direkter Tuchfühlung als enger Kontakt zueinander – oder eben etwas entfernter- wie es oft bei Freunden ist- oder noch weiter entfernt, wie bei Bekannten usw..
Jeder kann die Art der Gestaltung der Insel des Anderen bewundern (oder sich darüber wundern 😉 ) ; man kann Angebote machen: “ ich seh`-Du hast ein Plätzchen im Garten frei – da würde Farn wachsen – ich könnte Dir ein paar Pflanzen schenken“. Wenn der /die Andere erfreut annimmt- gut. Wenn der/die Andere ablehnt ( „möchte da lieber meine Bienenstöcke aufstellen“) – auch gut. Wenn man selbst Angebote bekommt, kann man sie annehmen und sich freuen – oder man kann sich freuen – und trotzdem ablehnen.
Tabu ist es, die eigene Insel zu verlassen, um im Garten – oder Haus – der Anderen Dinge so zu ändern, wie man sie für “ richtig – oder besser“ hält.
Es ist eine sinnvolle Übereinkunft und schafft Sicherheit, wenn die Regel beachtet wird, die Insel der Anderen nur zu betreten, wenn ich eingeladen bin – oder wenn der/die Andere sich selbst nicht mehr helfen kann / in Lebensgefahr / ohnmächtig und daher nicht in der Lage ist, um Unterstützung zu bitten. Und nur dann.
Dieser Respekt gilt auch gegenüber Kindern: man kann Kindern das Modell-Lernen – eine der mühelosesten und effektivsten Arten des Lernens- sehr erleichtern, wenn man auf seiner eigenen Scholle das praktiziert, was für das Kind nachahmenswert ist. Es erspart viel ineffektives Belehren – was seltenst Interesse und Freude weckt…
Und wie oft erzählen mir Menschen, daß sie ohne Not “ geentert“ wurden, man sie aus Rechthaberei, Ungeduld oder mißbräuchlichen Motiven heraus übergriffig behandelte und ihnen die Dinge aus der Hand genommen wurde. „Ich will doch nur Dein Bestes“ oder „Wie undankbar!“ waren die Kommentare, wenn sie sich trauten zu protestieren und sich nicht klaglos die Grenzen einreißen ließen.